Das Patriziat der Stadt Ravensburg
1. Entstehung
Wie bereits erwähnt, war auch die Oberschicht, durch den allgemeinen Zunftzwang gezwungen, sich zu organisieren. So entstand die vornehme Zunft der Geschlechter, deren Zunftmeister zugleich Bürgermeister war. Man distanzierte sich scharf von den Handwerkern, die stets den Patriziern gegenüber in einem Abhängigkeitsverhältnis standen. Als Zunftstube diente das Gesellschaftshaus (Marktstraße Nr.61), dem man den grotesken Namen "zum Esel" gab. Um den sozialen Unterschied gegenüber den anderen Zünften zu verdeutlichen, nannte sich die Oberschicht später "adlige Gesellschaft" oder Stadtadel. Dieser Stadtadel der Stadt Ravensburg bildete das Patriziat.
2. Die Struktur des Patriziats
Das Patriziat der Stadt Ravensburg setzte sich aus unternehmenden Kaufleuten und kleinen Ministeralien der vorausgehenden Epoche, d. h. aus Angehörigen niederer Dienstmannen bzw. ritterlicher Geschlechter zusammen. Am Geschlecht der Humpis, die neben den bekannten Ravensburger Patrizierfamilien Ankenreute, Gäldrich, Geßler, Täschler, Hüpschli, von Moosheim, Sürg von Sürgenstein und Schmid-Schindele ebenfalls Mitglieder der Gesellschaft "zum Esel" waren, läßt sich diese Abstammung aufzeigen. Das älteste bekannte Mitglied der Familie ist Heinrich Huntpiz, der 1218 in einer Zeugenreihe hinter dem Ravensburger Ammann steht. (6). Erst 1252 taucht wieder ein "Huntpiz" als Zeuge in Urkunden von Weingarten auf (7). 1253 folgt ein Heinrich Huntpisus, der 1258 mit einem nur Huntpisus genannten Verwandten als Bürger von Altdorf bezeichnet wird: Huntpisus et Heinrich Huntpisus, eives de Altdorf (8), d. h. es ist eindeutig bewiesen, daß das Geschlecht der Humpis aus Weingarten, dem ehemaligen Altdorf stammt. Der erste Name taucht also im Jahre 1218 auf, der nächste wird aber erst im Jahre 1252 erwähnt. Diese Lücke zu schließen kann nur ein Versuch bleiben. Nach Alfons Dreher ist der Angelpunkt für diesen Versuch der um 1260 erwähnte "Humpisus Sanne filius"(9). Es ist zwar nichts Einmaliges, aber verhältnismäßig selten, daß sich ein Mann nach dem Vornamen seiner Mutter nennt. Im Cod. maier traditionum Weingartensium (WUB) steht ebenfalls "Humpisus Sanne filius", sodaß bewiesen ist, daß es sich bei der Namensnennung von 1260 um kein Versehen oder um einen Schreibfehler handeln kann. 1222 werden 2 "filii Sanne de Altdorf" genannt, Heinrich und Konrad, von denen der erstere mit dem Heinrich Huntpiz von 1218 identisch sein kann. Der gleiche Heinrich wird 1228 als "filius domin Sannu" in einer Konstanzer Bischofsurkunde als letzter Zeuge hinter Klerikern aufgeführt, so daß man vermuten könnte, er sei Geistlicher gewesen. Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein, denn 1241 findet man wieder Heinrious filius domine Sanne, aber als Bürge von Altdorf. 1245 und 1246 wird Konrad filius Sanne erwähnt. Damit wäre der Anschluß an den Huntpize von 1252 so ziemlich gewonnen (10). Sicher ist, daß die Humpis und die filii Sannu gleicher Abstammung sind. Es läßt sich leider nicht feststellen, wer die "domina Sanna" war. Aber allein das "domina", d. h. die Herrin, genügt zu der Annahme, daß sie zu einer Ministerialenfamilie gehören muß. Etwas anderes kommt in Weingarten, dem alten Altdorf und ehemaligen Sitz der Welfen, nicht in Frage. Ab 1260 erscheint in den Urkunden kein filius Sanne mehr. Dies gibt zu den Vermutungen Anlaß, daß sich die Familie in 2 Linien Humpis und Sannensohn gespalten hat, da im Ged. traditionum Weingartensium nach 1260 noch ein "domina villa Sannun-sun" verzeichnet ist; die letztere Linie müßte denn allerdings bald ausgestorben sein. Es ist aber auch möglich, daß die Humpis und Sannensohn der gleichen Linie angehörten und den Namen Sannensohn um ungefähr 1260 aufgaben. 1264 wird ein "Heinrich Hunpiß in ponte de Altdorf" (11) erwähnt. Das "im ponte de Altdorf", also "an der Brücke von Altdorf", kann sich nur auf eine Scherzachbrücke Altdorfs beziehen. 1270 war dieser Heinrich Bürger von Ravensburg (12), wohin er sich aus nicht bekannten Gründen, wahrscheinlich aber des finanziellen Vorteiles wegen, wandte. Konrad Humpiß, der vermutlich 1299 Ammann der Stadt Ravensburg wurde (13), war am ehesten ein Sohn des Heinrich in ponte. An diesem Beispiel der Familie Humpis, die von staufischen, vorher offenbar welfischen Ministerialen aus Altdorf abstammt, später aber Bürger der Stadt Ravensburg wurden, können wir sehen, daß das Patriziat sich aus Angehörigen der Humpis in ihren Anfängen schon ein vornehmes Geschlecht waren, sehen wir auch darin, daß der Sohn des nach Ravensburg umgesiedelten Heinrich in ponte, Konrad Humpiß, bereits Ammann der Reichsstadt Ravensburg wurde.
3. Gewerbe des Patriziats
Wie aus der Struktur des Patriziats hervorgeht, beschäftigten sich die Angehörigen der Ober-schicht mit dem Handel. Es müssen aber ganz besondere Kaufleute gewesen sein, da sich ja die Händler, die nach Elle, Pfund und Lot verkauften, in der Gesellschaft zum "Ballen" zusammen-schlossen, also nicht in die vornehme Gesellschaft "zum Esel" aufgenommen wurden. Der Kaufmann des Patriziats beschäftigte sich mit dem Fernhandel und erwarb sich hierbei den für seinen Stand notwendigen und maßgebenden Reichtum. Ravensburger "merestores" erschienen schon zur Stauferzeit in Genua. Der Fernhandel begann damit, daß der schwäbische Kaufmann mit der heimischen Ware auszog, um mit neuen Rohstoffen zurückzukommen. Auf der nächsten Entwicklungsstufe schufen sich die großen Handelsfamilien Handelsniederlassungen und Agenturen im Ausland. Viele, sich für den einzelnen Fernhändler negativ auswirkenden Umstände und der ständig steigende Kapitalbedarf ließen allmählich den Wunsch aufkommen, das Wagnis des Handels auf viele Schultern zu verteilen. Verschiedene oberschwäbische Fernhändler, deren bedeutenster Vertreter die Familie Humpis war, schlossen sich zusammen und so kam es ungefähr im Jahre 1380 zur Bildung der "Großen Ravensburger Handelsgesellschaft", durch die Fern- handelsfamilien Humpis, Muntprat und Möttelin.