Die Entstehung der Gesellschaft
Der Ursprung der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft geht bis in das letzte Viertel des 14. Jahrhunderts zurück. Als im Oktober 1477 ein Teil der Gesellen austrat, um ein Konkurenz-unternehmen zu gründen, schrieb einer der Leiter, Hans Sattler, seinen Gesellen, um ihnen Mut zuzusprechen: "Wir haben Kunden an uns mit Kaufen und Verkaufen, darum mancher viel gäbe, auch solche Stege und Wege zur Hand, es sei in Deutschland oder Welschland, daß es nicht ein geringes Kleinod ist, dazu ein leblich Wesen, der gleichen von keiner Gesellschaft in der Welt je gehört worden ist, die so lange und so redlich her sei gekommen und "schier bei 100 Jahr" gewährt hat, auch den großen Almosen und die Gottes Zierden, an deren beschehen sind und alle Tage beschehen und noch künftig beschehen soll, auch das große Gut von Reichtum, so durch die Gesellschaft in unserem Lande gekommen ist. Wenn das abgehen sollte, so wäre es, meine ich, wider Gott Schand und Schade und würde mancher dadurch erfreut, allenthalb."(14). Aufgrund dieses Briefes, den Hans Sattler an seine "Liebenn fruind ze jenff, Avyon, Barcelona, Saragossa und Valentz. (15) sandte, setzt A. Schulte den Anfang der Handelsgesellschaft auf 1380. An ihrer Begründung und Ausweitung sind hauptsächlich drei Familien beteiligt: Die Ravensburger Familie Humpis, die Konstanzer Familie Muntprat und die aus Buchhorn (heute Friedrichshafen) stammende Familie Möttelin. In dieser Reihenfolge nennt ein Stiftungsbrief der Gesellschaft für ihre Quelle bei den Karmelittern, vom 10. Dezember 1461, die Teilhaber der Gesellschaft : "...wann auch wir in der Gesellschaft zu Ravensburg, nämlich im Namen der Huntpiß, Muntprat und Möttelin unserer Mitgesellen usw.(16). Der Gesellschaft, die sicherlich in Ravensburg begründet worden ist, und diese dort ständig ihren Sitz hatte, schlossen sich später allerdings noch mehrere Mitglieder an. Als Begründer kommen sicher die Familie Humpis aus Ravensburg, die Familie Muntprat aus Konstanz und die Familie Möttelin aus Buchhorn in Frage. Wenn man die Stamm-bäume der drei bedeutenden Familien studiert (17), fällt einem auf, daß niemals ein Nachkomme des bekannten Henggi Humpis, der ja um das Begründerjahr der Gesellschaft gelebt hat, eine Möttelin, und niemals ein Nachkomme Rudolf I. Möttelin, der um 1426 gestorben ist, eine Humpis geheiratet hat. Zwischen den Humpis und Muntprat besteht vor Henggi Humpis keine Verwandtschaft. Ursula Humpis eine Schwester des Henggi Humpis heiratete Luitfried II. Muntprat. Die Tochter von Henggi Humpis, Elisabeth Humpis heiratete Hans III. Muntprat, Sohn des Luitfried II. Muntprat, denn am noch erhaltenen Grabstein des Bruders von Hans III. Muntprat sind als Vater- und Mutterwappen in den 4 Ecken die Muntprat- und Humpiswappen sichtbar (18). Außerdem heiratete seine Schwester Anna Muntprat, Johannes/Hans II. Humpis 1412-1464 der Humpis Linie Ravensburg (19). Im Allgemeinen sind die Deutschen Handels-gesellschaften aus dem Familienverband hervorgegangen (20). So ist es nach der vorange-gangenen Betrachtung wahrscheinlich, daß die Große Ravensburger Handelsgesellschaft aus dem Zusammenschluß der Gesellschaften der Humpis, Muntprat und Möttelin hervorging. Die Familie Möttelin aus Buchhorn (Friedrichshafen) erwarb schon im 14. Jh. das Ravensburger Bürgerrecht, der Konstanzer Kaufmann Luitfried II. Muntprat folgte ihnen darin 1411. Der genaue Zeitpunkt des Zusammenschluß hierfür läßt sich nicht feststellen, vermutlich im Jahr der Gründung 1380 . Der letzte Termin für den Zusammenschluß der drei Patrizierfamilien ist aber das Jahr 1434. Damals machten Jos II. Humpis der Ältere, Ital II. Humpis und Luitfried II. Muntprat "von gemeiner ihrer Gesellschaft wegen ein Stiftung, damit den Armen täglich statt 1/2 Pfund Schmalz 1 Pfund gegeben werden könne". Dies ist die Angabe des Stiftungsbuches von1498 (21). Da Luitfried II. Muntprat 1408 bereits das Handelszeichen der Gesellschaft besitzt, und es sehr verwunderlich wäre, wenn letzteres bei der Aufnahme eines neuen Partners dessen Zeichen übernehmen würde, kam A. Schulte zu der Meinung., daß die Gesellschaft bei der Gründung bereits alle drei Familien umfaßte.(22). Am Beispiel der Familie der Humpis sei aufgezeigt, daß es kapitalkräftige Geschlechter waren, die sich zusammengeschlossen haben. Unter König Wenzel wurde an Ital I. Humpis die fällige Reichssteuer der Stadt Lindau (350 Pfund) angewiesen. Dies hatte einst den Grund, daß ein Vorschuß so gedeckt wurde.(23). Aus der Ravensburger Steuerliste von 1473 läßt sich ersehen, daß die Gesamtsteuerkapitalien der Humpis 242700 Pfund hl. betragen: davon entfallen auf die fahrende Kapitalien 154218 Pfund hl. (24). Wenn man die Kapitalien der zahlreichen Humpis von 1473 auf die Tage des Henggi Humpis zurückrechnet, so dürfte dieser neben Luitfried II. Muntprat der reichste Bürger Schwabens gewesen sein.
Welchen Vorteil brachte nun die Vereinigung der drei Familiengesellschaften ?. Praktische kaufmännische Überlegungen dürften der Grund für das Zusammengehen der drei Familien gewesen sein. Der Nutzeffekt dieses Zusammenschlußes war vielfältig; durch die Fusion wurden Konkurrenzkämpfe vermieden und gleichzeitig die Absatz- und Einkaufsmöglichkeiten verbessert und erweitert, die Geschäftsführung konnte wirkungsvoller gestaltet, die Unkosten gesenkt werden, eine bessere Arbeitsteilung wurde ermöglicht und schließlich bedeutete das Zusammen- gehen Mehrerer auch eine gewisse Verteilung des Risikos, falls einmal ein Warentransport zu Wasser oder Lande verloren ging oder ein Kunde zahlungsunfähig wurde. Um zu einem richtigen Verständnis zu gelangen, warum überhaupt Fernhandel betrieben wurde und aus welchen Gründen es notwendig war, sich zu einer Handelsgesellschaft zusammenzuschließen, ist es hier noch einmal angebracht, auf die Leinwandweberei einzugehen. Die Leineweberei war für die ganze Gegend von Konstanz bis Kempten und von Biberach bis St. Gallen das Hauptgewerbe der städtischen Weber und der Spinner, die sich hauptsächlich mit dem Spinnen beschäftigten. Fast alle Städte, die um den Bodensee herum entstanden, waren förmlich darauf angewiesen, dem, was der Städter jahraus, jahrein und der Bauer über seinen Bedarf hinaus an Leinwand webte, den Ausgang in die weite Welt zu schaffen. Es waren nicht die feinsten Sorten, die in der Gegend von Ravensburg hergestellt wurden, auch waren sie nicht so sauber gearbeitet. Aber der heimische Weber arbeitete billig. Die Barchentweberei war von vornherein mehr städtisch. Es wurden Stoffe aus leinener Kette und baumwollen Schusse gefertigt. Dieses Gewerbe war von Anfang an an die Händler gebunden. Die Stoffe mußten ausgeführt werden und die aus dem Ausland einzuführende Baumwolle konnte nicht durch die Weber selbst besorgt werden. 1335 mußte in Ravensburg alle Leinwand der "Webergäste" auf dem Markt öffentlicht verkauft werden. Ein solcher Verkauf seitens der Weber setzt eben eine Ausfuhr voraus. Im letzten Viertel des 14 Jahrhunderts also, ungefähr im Jahr 1380, schlossen sich dann die kapitalkräftigen Familien-gesellschafen Humpis, Muntprat und Möttelin zusammen. Das Wagnis und Risiko des für Ravensburg, ja für ganz Oberschwaben lebenswichtigen Auslandshandels, der die Handels-gesellschaft entstehen ließ, wurde so zu aller Vorteil auf "viele Schultern" verteilt.